Gestern war Heute morgen
Ich versuche, es ihr zu erklären: „Gestern war Heute morgen gewesen!! Plusquamperfekt!!“
„Hä?!“ Mit ihren großen dunklen Augen sieht sie mich fragend an.
„Plusquamperfekt!! Gestern war Heute morgen gewesen!!“, wiederhole ich noch ein wenig lauter.
Sie wirkt verunsichert. Und das macht sie fast noch hübscher. Ihr brauner, kurz geschnittener Schopf schimmert leicht bläulich, leicht rötlich. An ihren Ohren baumeln in allen Farben schillernde nicht zu große Gehänge. Der Mund ist leicht geöffnet, so als wolle sie etwas sagen, könne aber nicht.
„Und dann gibt’s da noch das Präteritum: Gestern war Heute morgen!! Nennt man auch Imperfekt!! Das ist noch was anderes als Perfekt!! Das wär dann: Gestern ist Heute morgen gewesen!! Vergangenheit, verstehste?!“
Sie respektiert mich. Ich glaube sogar, sie mag mich. Fasziniert hängt sie an meinen Lippen. Und sie ist beeindruckt, glaube ich. Von meiner Bildung, meiner Schlauheit. Damit scheint sie überhaupt nicht gerechnet zu haben. Jedenfalls macht sie einen leicht irritierten Eindruck. Das spornt mich zusätzlich an.
„Heute ist morgen gestern!! Präsens!! Weißte Bescheid?! Stimmt aber gar nicht!! Inhaltlich ist das Käse!! Im Präsens funktioniert das halt nicht!! Vielleicht noch: ‚Morgen ist Heute gestern’!! Das ist aber voll Umgangssprache!! Eigentlich brauchst Du da eine Futurform!! In der Gegenwart macht das keinen Sinn, klaro?!“
„Wa??!!“ Offensichtlich ist es ihr noch nicht so ganz richtig klar. Ich meine, ein gewisses Unverständnis in ihren rehbraunen Augen auszumachen. Dieses unterstreicht sie durch leichtes Anheben der Arme, so als wolle sie sich dem geballten Informationsansturm widersetzen. Ich deute das trotzdem so, dass sie mehr wissen will. Sie will sich mir ganz öffnen, meine Brillanz in sich aufnehmen.
„Futurformen!! Ist alles ganz einfach!! Future!! Zukunft!! Das Futur ist unsere Zukunft, sage ich immer!! Ha ha!! Kleiner Witz!! Also Futur Eins: Morgen wird Heute gestern sein!! Futur Eins!! Einfache Zukunftsform, okay?!“
Keine Reaktion. Oder doch. Ich erahne ein kaum merkliches Kopfschütteln. Ungläubiges Staunen. Na ja, was soll ich machen? Ich kann sie ja jetzt hier nicht so halbfertig stehen lassen. Ist ja gleich fertig. Ich lege ihr beruhigend meine Hand auf die Schulter und bringe es zu Ende.
„Tja – und dann gibt’s da noch Futur Zwo, nä?! Vollendete Zukunft!! Morgen wird Heute gestern gewesen sein!! Total abgefahren!! Braucht kein Mensch, weißte?! Ist halt nur wegen der Vollständigkeit!!“
Erschöpft, aber auch ein wenig stolz schaue ich sie an. Sie deutet mir an, ich solle mich ein wenig zu ihr runterbeugen. Okay. Ich beuge mich etwas zu ihr runter.
Und jetzt gibt mir dieses junge, jetzt klügere Geschöpf ein Feedback: „Alter, Du hast doch die totale Vollmacke!! Du hast voll den Arsch auf, Mann!! Das hier ist ’ne Disco, Du Penner!! Ich will tanzen, verstehst Du? Ich bin doch nicht hier wegen diesem Müll, den Du verklappst…!!“
Und sie dreht sich um und lässt mich stehen.
Ich stutze kurz, stutze noch mal und rufe ihr dann hinterher: „Aber… hey!! Wegen dieses Mülls!! Es heißt: ‚wegen dieses Mülls’!! Nach ‚wegen’ steht der Genitiv!! …der Genitiv.“
Konsterniert stehe ich da. Enttäuscht. Allein. Doch da! Plötzlich sehe ich sie dort am Tresen sitzen: noch so eine tolle Frau - lange blonde Haare, neckisches Lächeln, wunderschön. Noch viel wunderschöner als ihre brünette Vorgängerin. Ich gehe zu ihr rüber und sage: „Übrigens: Genitiv!! Nach ‚wegen’ steht der Genitiv!! Also zum Beispiel ‚des Mannes’ oder ‚der Frau’!! Verstehste?!“