Nachts um halb vier
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!
Das stand auf meiner Agenda bislang ganz oben.
Doch nun hab’ ich ’nen Sohn, der ist gerad’ mal ein Jahr,
er weiß noch nicht viel, aber eins ist ihm klar:
Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da!
Und so hat er mein Weltbild um Stunden verschoben:
Man sollte die Nacht nicht vor dem Morgen loben!
Es ist Nacht. Nachts um halb vier.
Und ich stehe hier bei Dir,
weil Du nicht schlafen kannst.
Das ist schlecht.
Ich bin nämlich müde. Echt.
In einigen Stunden geht die Sonne auf.
Da kann man ja mal aufstehen – so bist Du drauf!
Apropos drauf – wieso bist Du morgens so gut drauf,
während ich gegen jeden Türpfosten lauf?
Also, warum schläfst Du nicht, Du Wicht?
Warum eigentlich nicht?
Ich meine, sieh mich mal an!
Ich bin ein Wrack, weil ich nicht knacken kann!
Ich hab den ganzen Tag gearbeitet, Mann!
Und morgen früh muss ich natürlich auch wieder ran.
Versteh’ mich nicht falsch, will Dich nicht kritisieren,
aber einer muss Dein Luxusleben ja finanzieren.
Jede Nacht steh ich also hier bei Dir.
Kann die Uhr danach stellen: pünktlich halb vier.
Denn dann schmeißt Du Deine Sirene an,
so dass im Haus keiner mehr schlafen kann.
Ich habe alles versucht, alles, das ganze Brett,
und trotzdem rockst Du nachtnächtlich das Bett.
Hab den Schnuller mit Haftcreme präpariert,
die Spieluhr zur Dauerschleife umfunktioniert.
Habe Dir Bücher vorgelesen und Hymnen gesungen,
alle Geister unter Deinem Bett in die Knie gezwungen.
Hab Dir Filme gezeigt von Wickie bis Splatter,
Dir Essen gebracht, mal mager, mal fetter.
Ich hab mit Dir Yoga gemacht,
Du hast es fertig gebracht und mich ausgelacht.
Ich hab’s mit Tai Chi versucht,
Du hast mich bepöbelt und lauthals verflucht.
Und nun also: progressive Muskelentspannung.
Dein linker Arm wird ganz schwer.
Ganz schwer wird Dein linker Arm.
Atme in Deinen Bauch, mein Lieber.
Komm, sei so lieb, und atme in Deinen Bauch.
Los! Jetzt! Mach schon! In Deinen Bauch!
Entspann Dich! Entspann Dich endlich!!
Aber Du entspannst Dich nicht.
Stattdessen zeigst Du auf Deinen Bauch drauf.
Ich hör auch warum, weil Du kriegst gerade Schluckauf.
Doch was so gar nicht passt, ist Schluckauf und Schlafen,
das ist so wie Unterseeboot und Überseehafen.
Tja, so ist es gelaufen über zahlreiche Wochen,
mein Tag-Nacht-Rhythmus völlig zusammengebrochen.
Doch seit drei Nächten schläfst Du tief und fest,
während mich mein Rhythmus nicht mehr ruhen lässt.
Na super, da liegst Du und schnarchst seelenruhig,
ich tiger durch die Wohnung und drehe bald durch.
Und nichts schläfert mich ein, keine Pille, kein Joint –
aber so haben wir nicht gewettet, mein kleiner Freund!
Der Spieß wird gedreht, jetzt siehst Du wie’s ist,
wenn Dich im tiefsten Schlaf ein Verwandter disst.
Denn jetzt weck ich Dich auf, ja, jetzt und hier.
Da, schau auf die Uhr – es ist pünktlich halb vier!
Ich bin hellwach! Los, lass uns was spielen!
Mit Lego, mit Teddys und Automobilen.
So lernen wir voneinander – es ist kurios:
Die Geister, die man rief, die wird man nicht los.
Tja, das ist wirklich sehr lustig, alles wunderbar,
das Problem ist nur, es ist leider nicht wahr.
Also gehen wir zurück in diesem Gedicht
und bringen allmählich die Wahrheit ans Licht.
Es ging um allnächtlichen Terror und Schlafverbannung,
um Yoga, Tai Chi und Muskelentspannung.
Aber Du entspannst Dich nicht.
Stattdessen zeigst Du auf Deinen Bauch drauf.
Ich hör auch warum, weil Du kriegst gerade Schluckauf.
Doch was so gar nicht passt, ist Schluckauf und Schlafen,
das ist so wie Unterseeboot und Überseehafen.
Und jetzt kann ich nicht mehr, die Geduld ist am Ende.
Hör mal, mein Freund, jetzt ist Ende Gelände!
Soll ich Dir mal was sagen?
Ganz ehrlich, soll ich Dir mal was sagen?
Die Nächte waren schöner, als Du noch nicht da warst.
Tja, stimmt eigentlich. Und mir wird klar:
Vieles war einfach schöner, als Du noch nicht da warst.
Wochenende war echt schön. Jetzt anstrengend.
Urlaub war echt schön. Jetzt anstrengend.
Fernsehen war echt schön. Jetzt unschön.
Mein Leben war echt schön.
Aber nichts, was ich liebte, ist noch so, wie es war.
Das ist traurig. Sehr traurig, aber wahr.
Und so stehe ich jetzt hier, bei Dir.
Nachts um halb vier.
Und ich frage mich:
Ist das die Wahrheit?
Ja, es ist die Wahrheit.
Ist das die ganze Wahrheit?
Nein, sie ist es nicht.
Die ganze Wahrheit ist:
Ich habe viel verloren,
aber Du gibst mir mehr als Du nimmst.
Du bist das Schönste, was ich je gesehen habe.
Du bist das Beste, was mir je widerfahren ist.
Ich liebe Dich.
Ja, Mann, ich liebe Dich.
Weil Du mein Glaube bist.
Mein Glaube daran, dass es zu kämpfen lohnt.
Weil Du meine Hoffnung bist.
Die Hoffnung, dass die Sonne wieder scheint.
Dass es weitergeht.
Mit mir. Mit Dir. Für Dich.
Und weil Du meine Liebe bist.
Weil Du mein Leben bist.
Weil Du nichts kannst, was ich kann,
aber alles bist, was ich kann.
Auch jetzt und hier.
Nachts um halb vier.