Die Quadratur des Kreises
In Hamburg explodiert die Obdachlosigkeit. Wenig überraschend proportional zur Entwicklung der Miet- und Immobilienpreise. Besonders dramatisch stellt sich die Situation auf Sankt Pauli dar. Da die Politik sich offenbar außer Stande sieht, dieses Problem zu lösen, und wir ja alle irgendwie Hamburg sind, habe ich beschlossen, meiner Wahlheimatstadt in Eigeninitiative unter die Armen zu greifen.
Auf der Strecke von meiner Wohnung zur S-Bahnstation werde ich täglich im Schnitt von circa acht Menschen angesprochen, ob ich ihnen nicht irgendwie helfen könne. Im Normalfall begehren diese Leute mein persönliches Hab und Gut in Form von Geld oder Zigaretten. Auf dem Rückweg sind es dann übrigens auch noch mal acht.
Ich habe mich nun gefragt, was nützt es meiner Stadt, wenn ich diesen Menschen Geld gebe? Gar nichts. Vermutlich würde ich sogar eher noch mehr Schnorrer anlocken, wenn sich das erstmal herumspricht. Also habe ich beschlossen, das Obdachlosigkeitsproblem langfristig und auf biologische Art zu lösen. Ich spende Zigaretten. Eine Kippe pro Person. Dauernörgler und Moralapostel würden dieses Vorgehen wegen der zu erwartenden Gesundheitsschäden möglicherweise als niederträchtig bezeichnen. Dieser Gedanke kam mir eines Nachts, als mir im Traum vom Lungenkrebs dahingemeuchelte Punker erschienen, die mich wüst beschimpften. In großer Sorge um mein Seelenheil erinnerte ich mich schließlich an das alte Bibelwort: „Wenn Dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn Dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“ Das kann nicht falsch sein! Seitdem bekommt jeder zwei Zigaretten. Damit ist eigentlich allen geholfen: Meine Nachbarn haben mehr zu rauchen, mein Gewissen ist moralisch saniert und meine Stadt löst ihr Problem in doppelter Geschwindigkeit.
Und so dachte ich bereits, es gäbe sie doch: perfekte Lösungen. Die Quadratur des Kreises – ein durchaus realistisches Produkt meiner Genialität. Und vielleicht ist es auch wirklich so. Vielleicht wäre tatsächlich alles gut, wenn man mich einfach so machen ließe, wie ich es für richtig halte. Aber man lässt mich nicht. Zum wiederholten Male muss ich feststellen, dass mir geldgeile und an pragmatischen Lösungen desinteressierte Politiker meine auf Wohlstand für alle ausgerichteten Weltrettungspläne zunichte machen. Die Tabaksteuer wird erhöht. Mal wieder. Und den führenden Köpfen der Zigarettenindustrie fällt nichts Besseres ein, als diese Steuererhöhungen durch Preissteigerungen zu kompensieren. Das habt Ihr Euch ja fein ausgedacht! Aber dieser Schritt bringt nun mein persönliches Obdachlosigkeit-in-Hamburg-Überwindungsplan-Finanzierungskonzept ins Straucheln. Und da ich nicht über ähnlich geniale Geldbeschaffungsstrategien verfüge, die eben jene Politiker anwenden, wenn sie sich beispielsweise neue Konzerthäuser an großen Flüssen, riesige Flughäfen in der Pampa oder gar schicke Bahnhöfe unter der Erde bauen wollen, sehe ich mich nun gezwungen, die Preissteigerungen respektive Steuererhöhungen an die eigentlichen Endverbraucher weiterzugeben. Also bekommt jeder Obdachlose jetzt nur noch eine Zigarette. Um diese Kürzungen möglichst sozialverträglich zu gestalten bin ich anfangs die Strecke einfach öfter täglich abgegangen. Überraschenderweise half mir das nicht weiter. Also habe ich die Extrawege eingestellt und bin nun beim täglichen Blick in mein Portemonnaie ehrlich hocherfreut, in welchem finanziellen Rahmen sich meine Einsparungen bewegen, seit die Zigaretten teurer geworden sind. Das kann sich gern jeder selbst ausrechnen, wie viel Geld nun extra in meinem Geldbeutel verbleibt – und zwar völlig steuerfrei! So gesehen war die Steuererhöhung ein Schuss in den Ofen, Ihr Idioten!
Was bleibt, ist quasi mein plötzlicher Reichtum und die Frage, wie im Zeitalter andauernder und ständig neu eskalierender Finanzkrisen ein Vermögen gewinnbringend angelegt werden kann. Aber auch da habe ich schon eine gute Idee: Angesichts rasant steigender Energiepreise bei permanent abnehmenden Ressourcen investiere ich in Einweg-Gasfeuerzeuge. Meinen Berechnungen zufolge müsste ich bei dem täglichen Kauf eines Feuerzeuges meine komplette Altersvorsorge in circa fünfzehn Jahren in trockenen Tüchern haben. Außerdem habe ich immer Feuer zur Hand und die Arbeitsplätze in der Erdgas verarbeitenden Industrie sind ebenfalls gesichert.
Es gibt sie doch: perfekte Lösungen. Die Quadratur des Kreises – ein durchaus realistisches Produkt meiner Genialität.