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Tiefpunkt der Evolution

 

Du liegst auf dem Rücken mit ängstlichen Blicken,

geblendet von Neonlicht.

Soeben geboren, ein wenig verloren,

so richtig gefällt Dir das nicht.

 

Man gibt Dir ne Mutter, ist alles in Butter,

sogar ein Vater ist da.

Ab jetzt bist Du dabei mit viel Milch und Geschrei,

Dein primäres Lebensjahr.

 

Sie bringen Dich nach Hause, mit großem Gebrause

begrüßt Dich ein riesiger Hund.

Und er schlabbert Dich voll, das ist wirklich nicht toll

und sicherlich auch nicht gesund.

 

Doch der Trost ist so nah, die zwei Brüste von Ma,

das einzige, was Dich sediert.

Daran saugst Du verzückt und Du lächelst beglückt:

„Jo, Mama, das läuft wie geschmiert!“

 

Schon bald kriegst Du Zähne, was ich hier erwähne,

die Schmerzen, sie schmerzen enorm.

Darum schreist Du wie nie nach ’ner Anästhesie

oder wenigstens Chloroform.

 

Viele Monate zieh’n sehr geschwinde dahin,

inzwischen da bist Du schon drei.

Und das heißt, jetzt bist Du, Du rasanter Filou,

auch im Kindergarten dabei.

 

Du verlierst beinah täglich, das ist unerträglich,

den Kampf um das beste Lego.

Und das schmälert nicht nur Deine Manufaktur,

sondern leider auch Dein Ego.

 

Du schmeißt mit den Töpfen und ziehst an den Zöpfen,

beliebter macht Dich das nicht.

Das machst Du so lange, bis Max gar nicht bange

Dir dann Deine Nase zerbricht.

 

Ein paar Jahre später gehst Du mit Gezeter

ins Schulgebäude hinein.

Da stellst Du ganz schnell fest: Hier wird richtig gestresst.

Das muss doch nun wirklich nicht sein.

 

Zu lernen ist öde, die Lehrer sind blöde

und alles ist sehr kompliziert.

Du hast gar keine Lust und Du schiebst Deinen Frust

und wirst ziemlich übel zensiert.

 

Du fasst dann ganz spontan irgendwann einen Plan:

Es muss etwas Neues gescheh’n!

Mit miesen Gesellen ’ne Gang aufzustellen,

das hast Du im Kino geseh’n.

 

Du suchst Dir Banausen, um dann in den Pausen

das Faustrecht zu proklamieren:

Mit Jan und mit Ole holst Du Dir die Kohle

von denen, die immer verlieren.

 

Deine Alten stressen Dich unangemessen,

das jammerst Du laut vor Dich hin.

Du kriegst keine Schicksen, drum musst Du wohl wichsen,

so geht Deine Jugend dahin.

 

Beim Bund lernst Du Saufen, durch Schlammlöcher Laufen

und Schießen mit Schießgewehr

und Hinfallen und Aufstehen und Hinfallen und Aufstehen…

Es lebe die Bundeswehr!

 

Doch lernst Du es schätzen, Dir Grenzen zu setzen.

Dein Leben, es braucht ’ne Struktur!

Es dämmert Dir langsam: Befehl und Gehorsam -

das ist Deine Nomenklatur.

 

Du lernst, Dich zu bücken und niederzudrücken,

denn Widerspruch brauchen wir nicht!

So machst Du Karriere, im Kopf eine Schere –

und Ruhe ist erste Pflicht.

 

Derart gut strukturiert und auf Ordnung fixiert

so findet sich auch eine Braut.

Ist doch klar, denn sie liebt, was ihr Sicherheit gibt.

Und bald drauf habt Ihr Euch getraut.

 

Der Bund ist vorbei, Du gehst zur Polizei.

Das ist Deine wahre Passion!

Terroristen kaschen und Linke verdreschen,

Dein Schlagstock, der frohlocket schon.

 

Zu Hause wird heiter Familie erweitert:

ein Sohn, eine Tochter dazu.

Euer Endreihenhaus sieht so schnuckelig aus

und Dein Dackel sieht aus wie Du.

 

Die Ehe wird fade, das findest Du schade.

Aber wirklich stört Dich das nicht.

Denn Du tröstest Dich schon mit ’ner Kopulation

mit Lisa aus Deiner Nachtschicht.

 

Alles ganz kollegial, ist doch völlig normal;

Das kann mal passier’n, dann und wann.

So ’ne Spießermoral wär Dir viel zu banal.

Bist ’n Kerl, halt ein richtiger Mann!

 

Deine Welt ist so heil und Geiz ist so geil,

Dein Weltbild ist relativ schlicht.

Bist ganz vorn mit am Start mit Deiner Deutschland-Card

und mehr interessiert Dich nicht.

 

Untertan, der Du bist, denkst Du: ‚Denken ist Mist!’

Das hat Dich das Leben gelehrt:

Es ist kalt oder heiß, gibt nur Schwarz oder Weiß,

was nicht richtig ist, ist halt verkehrt.

 

Eminent souverän spielst Du den Kapitän

in der Wanne im eignen Bad.

Der Urlaub auf Malle, Kamelle für alle,

Heidi Klum und Mario Barth.

 

Es ist alles okay und es tut gar nicht weh,

Du kreist um Dich selber herum:

Und Du kreist und Du kreist und Du kreist und vergreist

im eigenen Vakuum.

 

Deine Kinder sind raus aus dem Endreihenhaus,

da hockst Du mit Deiner Frau.

Und Du weißt es, Du hast längst den Absprung verpasst.

Euer Leben ist öde und grau.

 

Du siehst, es wird immer noch schlimmer und schlimmer,

die innere Emigration.

Spielst tagelang Karten und machst Kaffeefahrten,

der Tiefpunkt der Evolution.

 

Und bald ist es so weit, Deine Frau ganz gescheit,

sie schiebt Dich ins Pflegeheim ab.

Da geht Dein Gemecker jedem voll auf den Wecker,

Du hältst alle ständig auf Trab.

 

Ein verbitterter Greis und es schließt sich der Kreis,

Es naht schon den Sensenmann.

Die Stunde wird kommen, Dein Leben genommen,

Keine Macht, die Dir helfen kann.

 

Du liegst auf dem Rücken mit ängstlichen Blicken,

geblendet von Neonlicht.

Jetzt wirst Du gleich sterben, Deine Reste vererben,

doch so richtig stört Dich das nicht.

 

Du atmest und atmest und atmest und atmest…

Holst Luft auf Verderb und Gedeih.

Und dann wirst Du ganz leicht, Deine Seele entweicht.

Finito. Jetzt ist es vorbei.

 

Die Moral der Geschicht, die verrat ich Euch nicht.

Ich wüsste sie selber gern.

Denn mehr ist es ja nicht als ein kurzer Bericht

vom traurigen Sein eines Herrn.

 

Doch wer will, findet immer ’nen winzigen Schimmer,

’ne These, ’ne Einsicht, ’nen Grund.

Und ich will nichts beschrei’n, doch das könnte’s hier sein:

Ey, Alter, geh bloß nicht zum Bund!