Wenn Du gehst
Ich mag es, wenn die Sonne untergeht. Ja, ich bin ein Sonnenuntergangsgucker. Ich mag es, wenn ich am Meer bin und die Sonne untergeht. Meinetwegen könnte die Sonne zwölf Mal am Tag untergehen. Ich würde es mir jedes Mal angucken.
Ich mag es, weil ich finde, dass die Sonne nie schöner ist, als wenn sie untergeht. Okay. Vielleicht ist sie genau so schön, wenn sie aufgeht. Das weiß ich nicht. Da schlaf ich noch. Aber wenn sie untergeht, dann ist sie einfach wunderschön. Das weiß ich.
Ich mag es, wenn sie knallrot immer tiefer sinkt – und dann ganz langsam im Meer verschwindet. Ich finde es so schön, dass sie da war.
Ich mag diese Angst, dass sie vielleicht nie mehr zurückkommt. Und dann sage ich ganz leise: „Bitte komm wieder. Lass uns nicht allein.“
Und dann frage ich mich, was sie morgen mitbringen wird. Was der Tag morgen mitbringen wird.
Ich mag diese Hoffnung, die dann in mir wächst, dass morgen ein guter Tag wird.
Und natürlich weiß ich, dass die Sonne nicht wirklich untergeht, sondern dass das alles mit der Erdrotation zusammenhängt. Und natürlich weiß ich auch, dass sie nicht rot ist, sondern dass sie nur rot erscheint aufgrund der Lichtbrechung oder so was. Aber das ist mir egal. Ich mag es, wenn die Sonne rot im Meer versinkt.
Und ich kann dann nicht weggucken. Ich kann das auch nicht fotografieren. Dann müsste ich ja weggucken, zumindest für einen ganz kurzen Moment. Und das kann ich nicht. Will ich nicht. Ich muss das sehen. Ganz.
Und ich mag es, wenn Du gehst. Nicht, weil Du dann weg bist, sondern weil Du noch da bist. Ich finde, Du bist nie schöner, als wenn Du gehst. Ich mag es, wenn Du Deine Haare in den Nacken wirfst, mich anlächelst und sagst: „Tschüß. Ich liebe Dich.“ Und dann die Tür hinter Dir zuziehst.
Ich finde es so schön, dass Du da warst.
Ich mag diese Angst, dass Du vielleicht nie mehr zurückkommst. Und dann sage ich ganz leise: „Bitte komm wieder. Lass mich nicht allein.“
Ich mag diese Hoffnung, die dann in mir wächst, dass es gut wird, wenn Du wiederkommst.
Und natürlich weiß ich, dass es Liebe vielleicht gar nicht gibt. Dass es chemische Prozesse sind, die uns füreinander attraktiv machen. Und dass Du vielleicht nur Dein Sicherheitsbedürfnis befriedigst, wenn Du bei mir bist, und ich bei Dir Bestätigung finde und womöglich meinen Fortpflanzungstrieb bei Dir pflegen kann.
Ja ja. Ich weiß. Und dann stehst Du vor dem Spiegel und wirfst Deine Haare in den Nacken. Und Du lächelst mich an. Und ich sitze da. Kann die Augen nicht von Dir lassen. Und dann ziehst Du die Tür hinter Dir zu.
Ich weiß nicht, ob ich es Dir schon mal gesagt habe: Du bist nie schöner, als wenn Du gehst.
Und ganz leise sage ich: „Bitte komm wieder. Lass mich nicht allein.“