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Was ich Dir sagen wollte

 

Ja, Du hast Recht. Ich kann einfach nicht über meine Gefühle sprechen. Ich würde ja gern. Aber ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll. Wenn ich Dir sagen würde, dass ich Dich liebe oder dass ich Dich brauche oder dass ich Dich will, dann wären das leere Versuche. Ich verstehe diese Worte nicht und ich weiß nicht, ob sie erklären können, was ich fühle, wenn ich Dich sehe. Aber wenn es denn sein muss, dann will ich wenigstens versuchen, es Dir zu beschreiben.

 

Was ich fühle, wenn ich Dich sehe, ist in etwa das hier:

Stell Dir einen Mann vor, der sich in der Wüste verlaufen hat. Und er irrt durch diese Wüste, seit Tagen schon. Und er ist total im Eimer und seine Kehle ist staubtrocken. Und er denkt, sein letztes Stündchen hat geschlagen, und eigentlich hat er mit allem abgeschlossen, da kommt er um eine allerletzte Düne und da steht – ein eiskaltes Bier! Ein eiskaltes, frisch gezapftes Bier! Und stell Dir vor, wie er dieses eiskalte Bier trinkt – so geht es mir, wenn ich Dich sehe.

Das verstehst Du nicht? Ach so. Okay, dann versuche ich es anders.

Stell Dir vor, Du bist im Stadion. 30.000 Leute stehen zusammen und wollen nur das Eine: das Tor! Das ist ja gerade der Witz beim Fußball, dass da nicht alle zwei Minuten ein Tor fällt. Da könnte man ja gleich zum Handball oder Basketball gehen. Nein! Also: Die 30.000 Leute stehen zusammen und sehnen sich nach diesem einen Augenblick. Es geht hier auch gerade nicht um irgendeine blödsinnige Weltmeisterschaft, sondern es ist ernst. Es geht um sein oder nicht sein! Und stell Dir nun vor, wie die Mannschaft anrennt, alles aus sich rausholt, 90 Minuten lang. Und sie kämpfen und ackern. Pfosten! Latte! Letzte Minute, Nachspielzeit und es klappt einfach nicht und dann, als alles schon verloren scheint, dann trifft Boller das Ding mit Vollspann und nagelt den Ball in die Maschen! Du siehst wie in Zeitlupe, wie das Netz sich ausbeult, und 30.000 Leute schreien auf und springen sich in die Arme! Stell Dir das mal vor! Und genau das fühle ich, wenn ich Dich sehe.

Wie? Kannst Du nicht nachvollziehen? Warst Du noch nie in einem Fußballstadion oder was? Na gut. Na schön. Ich versuche es mit einem anderen Beispiel.

Also stell Dir vor, Du musst Wasser lassen. Pullern. Und Du musst wirklich ganz, ganz dringend. Also so richtig dringend. Und Du bist auch schon fast zu Hause, stehst also quasi schon vor Deiner Haustür und – Du hast Glück: Direkt vor Deinem Haus wird gerade ein Parkplatz frei und Du parkst da ein und dann knallst Du die Wagentür hinter Dir zu und Du rennst zum Haus und schließt die Haustür auf und dann sprintest Du die Treppen hoch und reißt die Wohnungstür auf und Du springst ins Bad und willst die Hose öffnen, aber da hakt der Reißverschluss! Und Du kriegst richtig Panik! Deine Augen beginnen zu tränen, so hoch ist der Pegelstand bereits. Und Du zerrst an Deinem Reißverschluss und Du reißt und tust und dann geht er auf – yes! – und Du schmeißt Dich auf die Klobrille und dann fängt es an zu laufen! Jaaa! Ziemlich genau dieses Gefühl habe ich, wenn ich Dich sehe.

Was? Wie nein? Das verstehst Du auch nicht?? Warum verstehst Du mich nicht?? Okay, okay – ich starte einen allerletzten Versuch.

Also stell Dir Folgendes vor: Du hast es schwer. Du bist im Stress. Die Welt verweigert Dir die Anerkennung, die Du brauchst. Also brauchst Du – neue Schuhe. Und es dauert gar nicht lange, da siehst Du genau die Schuhe, die Du willst: Audley-Sandaletten in schwarz-kombi. Diese Sandaletten mit dem dünnen Riemchen und kleiner weißer Schleife vorne drauf! Und sie kosten auch nur 239,90 Euro! Du weißt, das sind genau die Schuhe, auf die Du schon Dein ganzes Leben lang gewartet hast! Diese Schuhe wurden nicht für Dich gebaut – nein, Du wurdest für diese Schuhe geboren. Dein Leben ist sinnlos ist ohne diese Schuhe! Du willst sie nicht haben, Du musst sie haben! Aber es gibt sie nicht mehr in Deiner Größe! Um Gottes Willen! Was nun? Du kriegst panische Flecken. Nichts ist für Dich mehr von Bedeutung! Du würdest Dein Abitur eintauschen gegen diese Schuhe! Du würdest mindestens eine Niere und einen Lungenflügel spenden für diese Schuhe! Du würdest zu Fuß nach Kalkutta laufen, oder wo diese Dinger hergestellt werden, um Dir ein Paar höchstpersönlich abzuholen. Barfuß! Aber wie auch sonst? Du hast die Schuhe ja noch nicht. Und Du rennst von einem Geschäft zum anderen; nicht einmal bei „Styles & More“ haben sie diese Schuhe in Deiner Größe. Und Du fährst zur Köhlbrandbrücke, um Dich dort zu erschießen, da fällt von einem vorbei fahrenden Laster ein Schuhkarton. Und Du hebst ihn auf, öffnest ihn und darin liegt: ein Paar der Audley-Sandaletten in schwarz-kombi in genau Deiner Größe! Jaaa!! Und das, verstehst Du, genau das fühle ich, wenn ich Dich sehe.

Ich weiß. Das klingt alles ganz schön absurd. Ich kann halt nicht über meine Gefühle sprechen. Und ich kann Dir nicht sagen, was Du für mich bist. Was ich fühle, wenn ich Dich sehe.

Ich mag Dich. Du bist cool. Das ist eigentlich alles, was ich Dir sagen wollte.