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Auf Tasche

 

 

Ich ziehe die dicke Jacke an, Mütze, Schuhe, greife zum Beutel und rufe meiner Freundin zu: „Ich hol’ denn mal Brötchen und Zeitung!“

Sie antwortet: „Ja, super! Bringste mir ’n Kaffee mit?“

Und da passieren zwei Fehler in einer Sekunde. Na ja, eigentlich sind es keine Fehler, es sind einfach zwei Dinge, die nicht zusammenpassen. Zumindest wenn man nicht multitaskingfähig ist. Erstens: Ich frage: „Was denn für’n Kaffee?“ und zweitens: Ich greife in meine Jackentasche und ertaste ein zusammengefaltetes Stück Papier. Und ganz nebenbei – ich bin nicht multitaskingfähig.

Meine Freundin sagt: „Hm, tja, gute Frage. Vielleicht einen Cappuccino. Das wär echt …“

Was ist denn das für ein Zettel? Kassenbon? Einkaufsliste? Keine Ahnung. Wann habe ich diese Jacke eigentlich zum letzten Mal angehabt? Das muss eine Ewigkeit her sein.

„… auch Latte Macchiato. Fänd ich eigentlich …“, höre ich aus der Küche.

Das ist doch bestimmt schon zwei Jahre her. Was könnte das denn sein? Vielleicht ein Lottoschein? Eine Wegbeschreibung? Den Zettel rausholen und nachgucken geht jetzt nicht. Muss erst die Kaffeesache klären.

„Aber mit Zucker, okay?“

„Äh. Ja, klar.“

Möglicherweise trage ich hier in meiner Jacke den besten Slamtext aller Zeiten mit mir rum, den ich mal geschrieben und dann wieder vergessen habe. Das wär doch mal was! Oder hat Miss Hamburg mir ihre Telefonnummer aufgeschrieben und mir das Teil bei einem zufälligen Treffen in die Tasche geschmuggelt? Soll ja vorkommen. Eigentlich stehe ich ja gar nicht auf Frauen mit hohen Absätzen und kurzen Hauptsätzen. Eher andersrum. Siehe Kaffeemonolog … Was auch immer.  Meine Freundin beendet ihr Gespräch mit einem fröhlichen: „… Na, denn ist ja alles klar. Bin jetzt unter der Dusche. Bis gleich!“

Ich verlasse das Haus. Jetzt nachzugucken, wäre ja langweilig. Das muss doch auch so rauszukriegen sein. Eventuell handelt es sich um ein Blatt mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ich fatalerweise nicht gelesen oder zumindest nicht akzeptiert habe. Normalerweise Häkchen dran – und fertig! AGB gelesen und akzeptiert? Na klar – Klick. AGB gelesen und akzeptiert? Na klar – Klick. Gelesen und akzeptiert? Na klar – Klick. Akzeptiert? Na klar – Klick. Na klar – Klick. Klick, Klick, Klick. Mein Leben ist zu kurz für Geschäftsbedingungen.

Vielleicht finden sich hier in meiner Jackentasche auch die Lösungen der ganz großen Menschheitsfragen. Beispielsweise die geheime Rezeptur von Coca Cola. Und siehe da – wenn man das braune Zeug weglässt, ist es das gleiche Rezept wie von Holsten Edel. Oder: Wer erschoss John F. Kennedy? Es war Elvis und es ging um Marilyn. Möglicherweise finde ich eine Kopie des geheimen Bauvertrags zwischen der Stadt Hamburg und der Firma Hochtief. Wortlaut: „Moin! Na klar bauen wir Euch dieses Elbphilomiedingsbums. Aber das wird teuer. Also echt richtig teuer. Na ja, was soll’s? Ist ja nicht Euer Geld!“ Und bei der Unterschrift vom Bürgermeister steht: „Ja, stimmt eigentlich J! Ole v. B.“ Tja. Schwierig. So gesehen könnte es alles sein.

Plötzlich fällt mir ein, im letzten Winter habe ich diese Jacke mal meinem besten Freund ausgeliehen. Das macht die Sache ja noch komplexer. In der DDR hätte ich jetzt befürchten müssen, dass das Papier in meiner Tasche sein Stasibericht über mich ist. Aber so was gibt’s bei uns hier ja nicht. Glaube ich.

Völlig ratlos erreiche ich den Bäcker. Ich bestelle vier Brötchen, eine Zeitung und einen Kaffee. „Was denn für’n Kaffee?“ „Ja, äh, keine Ahnung. Espresso? Irgendwas, was weg muss. Aber mit Zucker.“

Ziemlich verzweifelt trete ich den Heimweg an. Definitiv habe ich den falschen Kaffee dabei. Und was auf dem Zettel steht, weiß ich auch immer noch nicht. Also hole ich den Wisch jetzt aus der Tasche, falte ihn auseinander und darauf steht:

 

„Danke für die Jacke, Alter! Bin vielleicht etwas betrunken. Aber Du bist mein bester Freund. Und diese Freundschaft macht mich sehr stolz. Danke dafür, Mann!“

 

Ich hole mein Handy raus und schreibe ihm eine Kurznachricht: „Du mich auch. Also stolz. Danke gleichfalls!“ Dann schließe ich die Haustür auf. Das war ein guter Zettel. Ich freue mich auf’s Frühstück. Und auf den neuen Tag.