Die Frage, welcher Gott der richtige ist, zumindest aber, ob es überhaupt einen Gott gibt, wird zwar auch in diesem Text nicht restlos befriedigend beantwortet, allerdings setzt er sich bei näherer Betrachtung mit diesem Thema durchaus auseinander
Jenseits der typischen und alltäglichen Konfrontationen um Dinge wie Eis oder nicht Eis, Zähne putzen oder nicht Zähne putzen oder auch die Einhaltung von Zeitplänen ist das Leben mit meinem Sohnemann ein sehr schönes, beglückendes und tatsächlich bereicherndes Leben. Es hinterlässt zum Beispiel auch beim Vater einen weithin unterschätzten Eindruck zu erkennen, welche Begeisterung alltägliche Gegenstände wie Anhängerkupplungen, Anker und erst recht Ankerketten bei kleinen Kindern auslösen können. Und dabei geht es noch nicht einmal um den Besitz dieser Dinge, sondern allein das Entdecken sorgt für großes Entzücken und leuchtende Kinderaugen. Vorerst. Denn schon nach kurzer Zeit gehen diese Freude und Begeisterung auch auf den Erziehungsberechtigten über, wenn er ebensolches noch vor dem Filius erspäht und diesen dann darauf aufmerksam machen kann. Wer daraus nichts lernen kann oder will, dem ist schlichtweg nicht zu helfen.
Im Kopf des vermeintlich gebildeten und intelligenten Erwachsenen wird quasi eine Reset-Taste gedrückt, die bewirkt, dass man die Welt noch mal ganz neu entdeckt, betrachtet und interpretiert. Oh, ein Krankenwagen! Und da – Eine Glocke!
Kinder werden größer. Und – was fast schlimmer ist – älter. Auch ihr Blick verklärt sich, das Denken wird erwachsener. Ganz offenbar verliert die Entdeckung einer Anhängerkupplung erheblich an Reiz, sobald das Kind in der Lage ist, sich zum Paläontologen kladistischer Systematik fortzuentwickeln, der die Klassifikation sämtlicher Saurierarten vorwärts, rückwärts und seitwärts zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit herunterbeten kann. Oder jeden – aber auch wirklich jeden – aktuellen Profifußballer inklusive Vornamen, Nationalität und Positionsbeschreibung entsprechend Bayern München, Eintracht Frankfurt oder Fortuna Düsseldorf zuordnet. Gerne auch ungefragt. Eigentlich immer ungefragt.
Gerade jedoch, wenn man sich an den Gedanken zu gewöhnen droht, der Welt einen Saurier- oder Fußballnerd aufgezwungen zu haben, und womöglich bereits Techniken entwickelt, die eigene Scham über diesen Umstand zu ignorieren, erfährt man – wenn man Glück hat –, dass auch ein fünf Jahre altes Gehirn urplötzlich in der Lage ist, glasklare Gedanken zu produzieren und zu artikulieren.
Vorgestern noch wurde es akzeptiert, als ich Dir sagte, dass wir nicht weiter am Strand entlang gehen könnten, weil der vor uns liegende Abschnitt ein Privatstrand sei. Also jemandem gehöre, der nicht wolle, dass wir dort unsere Sandburg bauen. Aber heute kommt es Dir spanisch vor, dass wir uns kein Holz aus dem Waldstück holen dürfen, obwohl wir doch nur ein Lagerfeuer machen wollen. Aber der Wald gehört halt jemandem, der irgendwelche anderen Pläne damit hat und der deshalb einen Zaun darum gezogen hat. Du stutzt und denkst kurz nach, um dann mit der messerscharfen Analytik und Weisheit eines längst vergessenen und zu Stein gewordenen Indianerhäuptlings zu fragen: „Wieso gehört der Wald jemandem? Wie kann der Wald jemandem gehören? Gehören ihm die Ameisen in diesem Wald auch?“
Und dann steht man da, ringt um eine Antwort. Ja, gehören ihm die Ameisen auch? Wem gehören eigentlich die Ameisen? Und die Zeit für eine schlaue Antwort verrinnt mir zwischen den Fingern. Und natürlich weiß ich, dass es eine juristisch korrekte Aussage darüber gibt, wem jetzt diese beknackten Ameisen gehören – auch wenn sie mir nun mal gerade nicht einfallen will –, aber dabei bemerke ich, dass die juristisch korrekteste aller Antworten das Problem nicht im Mindesten lösen würde, weil ich einsehe, dass der fünfjährige Quizfragenerfinder sich damit niemals zufrieden geben würde. Und nicht nur das! Ich realisiere, dass er damit auch noch Recht hat! Weil es nämlich total abwegig ist, Strände, Bäume und Ameisen jemanden besitzen zu lassen. Und bei der Erkenntnis, die ich in diesem Moment gewinne, schießt mir ein kleines bisschen Wasser in die Augen, nämlich dass ich der Nerd bin und nicht er – na ja, okay, er ist vielleicht auch ein Nerd, zumindest ein Fußballnerd –, aber ich bin es ja eigentlich, der sich seit Jahren mit genau diesem Mist abspeisen lässt, und er, mein selbstgezeugter Dreikäsehoch, mir schon wieder den Spiegel vorhält. Was zum Kuckuck tun wir hier eigentlich? Was tun wir hier eigentlich?
Und wenn jetzt irgendjemand glaubt, dieser Text hat mehr mit Fußball oder Dinosauriern zu tun als mit der Frage, ob es einen Gott gibt, dann haben wir uns entweder missverstanden oder wir werden uns ganz einfach nicht einig.