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Wer nichts wird, wird Wirt – und wer nichts kann, wird Makler. Oder: Vom richtigen und vom falschen Ende der Nahrungskette

 

 

 

 

Diese Geschichte ist meine Geschichte und sie erzählt, wie ich wurde, was ich bin, und warum ich bekomme, was ich nicht verdiene.

Es begann damit, dass sich meine Freundin von mir trennte. Nun gut, der intellektuelle Verlust hielt sich in überschaubaren Grenzen und sie war auch schon etwas in die Jahre gekommen. Wesentlich schlimmer war es, den Hausstand fair aufzuteilen und eine neue Wohnung für mich zu organisieren. Punkt eins gelang uns ganz gut: Ich bekam den Hund, sie den Rest. Mit Punkt zwei verhielt es sich komplizierter. Vielleicht eine Zwei-Zimmer-Wohnung, möglichst sofort und auf jeden Fall in der Innenstadt. Schließlich war ich noch nicht tot und meine Planungen sahen eine weitere Partizipation am gastronomischen und sexuellen Nachtleben der Metropole vor. Voller Hoffnung stürzte ich mich in die Wohnungssuche.

 

Es war die einundzwanzigste Wohnungsbesichtigung, und sie veränderte mein Leben. Als ich bei dem Mietobjekt meiner Begierde eintraf, erwarteten mich bereits hundertfünfzig Mitbewerber, von denen das vordere Drittel hier offenbar schon vor längerer Zeit eine Art Basislager aufgeschlagen hatte. Teils lagen sie noch in ihren Zelten, teils kochten sie sich am offenen Feuer Kaffee. Insgesamt versprühte die Szenerie ein wenig den Charme eines ökumenischen Friedenscamps, sang doch eine weitere Gruppierung ausdauernd „We shall overcome“, als warte man auf die Ankunft des Erlösers. Mit knapp neunzigminütiger Verspätung kam dieser dann tatsächlich in einem Porsche 911 Turbo S vorgefahren, auf dessen Heckflügel ein Aufkleber pappte: „Erster“. Der Fahrer stieg konsequent auf die Bremse, und eingehüllt in weißen Staub wurde dem wartenden Mietervolk klar: Habemus Makler!

Nachdem sich der erste Jubel gelegt und das gegelte und mit Gucci-Anzug sowie volksnahen Flipflops bekleidete Evolutionswunder seine Jünger um sich geschart hatte, verkündete es uns gleich zwei frohe Botschaften. Erstens: Bedenke, Mieter, dass Du Staub bist! Und zweitens: Arbeitslose, Kinder und Hunde sowie anderes Gesocks würden leider nicht zu dem exquisiten Ambiente dieses 60er-Jahre-Klinkerbaus passen und könnten sich nun geflissentlich wegoxidieren.

Die Prachtimmobilie entpuppte sich bei näherer Betrachtung als laut, dreckig, unrenoviert und total verbaut, dafür aber immerhin komplett verschimmelt. Ein Träumchen für eine Monatsmiete von zwei Monatsgehältern. Also genau das, wonach wir alle gesucht hatten, und es begann der Tanz ums goldene Makler-Kalb. Es ist schon überraschend, was man nicht plötzlich so alles super finden kann: Maklercourtage, Staffelmiete, Abstand, Fuffi extra, Mietsicherheit, Sonderzahlungen und so weiter und so weiter.

Langer Rede, kurzer Sinn: Aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund bekam ich die Wohnung. Mein Hund, für den bekanntlich kein Platz in der Herberge war, trug in nicht unerheblichem Maße dazu bei, zahlte das Versuchslabor doch eine recht stattliche Ablösesumme, von der ich dann einen Teil der horrenden Maklercourtage begleichen konnte. Ich unterschrieb also meine Bankrotterklärung respektive den Mietvertrag, und verabschiedete mich bis auf weiteres vom Herrn Makler.

Die Wohnung war aber gar nicht der Hauptgewinn dieses ereignisreichen Tages, sondern die immense Bewusstseinserweiterung. Zum einen die Erkenntnis, dass es doch gar nicht so egal ist, an welchem Ende der Nahrungskette man sich befindet, und zweitens, dass man als Makler eigentlich nur eins können muss: gar nichts! Keine Ausbildung, kein Studium, kein Diplom, kein gar nichts! Also keine Hard Skills wie fachliche Qualifikation und erst recht keine Soft Skills wie Einfühlungsvermögen oder Frustrationstoleranz. „Hey, geil!“, dachte ich mir. „Das kann ich auch!“

Und so entschloss ich mich, selbst Makler zu werden.

 

Völlig zufällig wurde umgehend ein Arbeitsplatz bei dem Immobilien-Dienstleister meines Vertrauens frei. Ich bekam die Stelle und sofort makelte ich drauf los! Und ich makelte und makelte, bis ich mir innerhalb weniger Wochen eine Villa, zwei Autos, drei Motorräder und eine 34-Meter-Yacht ermakelt hatte. Darüber hinaus habe ich jetzt nicht nur einen Hund, sondern drei. Und nicht nur eine Freundin, sondern fünf. Schnell war klar: Makler sein ist genau mein Ding! Seit ich selbst in der Immobilienbranche tätig bin, kann ich überhaupt nicht mehr nachvollziehen, warum diese eigentlich so ein mieses Image hat. Wir sind total toll und wir arbeiten wirklich hart für unser Geld! Aber man hat es auch nicht leicht. Der ständige Kontakt zu mietwilligen Untermenschen beispielsweise ist auf die Dauer recht zermürbend. Und so eine Wohnung vermietet sich ja auch nicht von selbst! Da muss man im Internet eine Anzeige schalten, einen Besichtigungstermin durchführen und dann noch einen Vertrag ausdrucken. Pro Wohnung können da schon mal ein, zwei Arbeitsstunden zusammenkommen! Das ist der pure Stress! Aber ich will nicht klagen. Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden.

 

Bleibt nur noch die Frage offen, wie ich so schnell eine Anstellung als Makler finden konnte. Tja, dazu möchte ich mich eigentlich gar nicht großartig äußern. Nur soviel: Ich habe meinen Immobiliendealer tatsächlich noch mal wiedergesehen. Blöderweise war ich aufgrund des Umzugs recht knapp bei Kasse, hatte allerdings großen Hunger. Und gute Ernährung ist mir wichtig. Wir kamen ein wenig ins Plaudern, unsere Beziehung intensivierte sich – und was soll ich sagen? Wenn man so eine Maklerlende vor dem Braten kurz in Speisestärke schwenkt, wird sie richtig schön zart. Wie gesagt – es ist nicht ganz unwichtig, am richtigen Ende der Nahrungskette zu stehen.