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Hafenstraße 52

 

Sie heißt NSuzana und wäre heute 19 Jahre alt. Sie würde die Dorothea-Schlözer-Schule besuchen, um dort eine Ausbildung zur Erzieherin zu machen. Abends würde sie sich „Bauer sucht Frau“ ansehen oder mit ihrem Freund Dennis ins „Hüx“ gehen. Sie würde bei der Lübecker Turnerschaft Handball spielen und sich ab und zu mit Christelle und Miya Makodila treffen, mit denen sie früher in einem Haus gewohnt hat. In dem Haus Hafenstraße 52, Ecke Konstinstraße. Alles das würde NSuzana vielleicht heute machen, wenn sie nicht am 18. Januar 1996 gestorben wäre.

 

Sie kamen bei Nacht beinah lautlos daher.

Nur die Pforte zur Straße hat leise gequietscht.

Fünf Meter zum Vorbau, im Schatten geduckt,

Benzin und ein Streichholz, mehr brauchten sie nicht.

Unbegreiflich ihr Hass, unfassbar ihr Tun.

Wo war der Engel, der ihnen Einhalt gebot?

Noch ein Blick in die Runde, das Streichholz entflammt.

Der Moment, da das Streichholz die Hand verlässt,

der Moment, da der Mensch zum Unmensch wird.

Eine Stichflamme, groß, ein Feuerball!

Die Flamme springt über, rasend schnell, lichterloh.

Das Feuer, es frisst sich durch trockenes Holz.

Das alte Gemäuer kann nicht widerstehen.

Es knistert und knackt, Funken zischen umher.

Luft wird zu Rauch und Atem zu Gift.

Die Ersten schrecken hoch. „Es brennt! Oh mein Gott!“

Aus dem Bett, Todesangst, „Komm, wir müssen hier raus!“

Die Kinder! Die Nachbarn! „Es brennt! Wacht doch auf!“

Fast fünfzig Menschen rennen raus auf den Flur,

doch es gibt kein Entrinnen; die Treppe, sie brennt;

auch die Türen und Wände, Fenster zerspringen.

Der Qualm ist so dicht, Menschen irren umher.

Schreien und Stolpern, Familien zerreißen.

Hier ist die Hölle, Feuersbrunst und schwarzer Rauch.

Frauen und Kinder, die aus dem Fenster springen.

Andere flüchten auf das eisige Dach.

Feuer, Zerstörung, Schrecken und Tod.

 

Die Feuerwehr rast in die Hafenstraße. Das Haus 52 brennt wie ein Kamin. Leichen liegen vor dem Gebäude. Zerschmettert. Auch NSuzana. Schreie vom Dach und aus den Fenstern. Die Männer sehen vier Kinder am Fenster stehen. Sie schreien zu ihnen herauf: „Los, springt!“ Doch die Kinder können vor lauter Rauch das Sprungkissen nicht sehen. Da zündet das Feuer in dem Zimmer durch. In einer Explosion verbrennen vier Kinder der Familie Makodila. Ihre Mutter Francoise und der jüngste Sohn Jean-Daniel sind schon seit einigen Minuten tot.

Wie ein Wolf die Schafe reißt der Tod die Menschen.

Bewohner, Feuerwehr, Polizei und Freiwillige kämpfen stundenlang. Am Ende stehen Tod, Trauer, Verwüstung.

Die Nacht zum 18. Januar 1996. Zwölf Jahre ist das her. Eine Zeit, in der in Lübeck nicht nur das Wohnheim in der Hafenstraße brannte. Die Synagoge, Kirchen, Restaurants, ein Obdachlosenheim. Doch nirgends wütete das Feuer dermaßen verheerend wie hier. Zehn Tote, 38 Verletzte.

Dem kollektiven Entsetzen folgt der politische Reflex. Mit Ausnahme von Bürgermeister Bouteiller überbietet sich die politische Prominenz im Verharmlosen und Kaschieren. Bauernopfer und Sündenböcke werden gesucht und gefunden. Die Staatsanwaltschaft beugt sich der Staatsraison.

Auf dem Gelände Hafenstraße 52 befindet sich heute ein Parkplatz. Auf diesem Parkplatz steht ein Gedenkstein, der an den Brandanschlag erinnern soll. Der Wind und die Zeit wehen über diesen Stein. Die Mahnung und die Erinnerung an die Toten, die Verletzten und die Angehörigen dürfen aber nicht verwehen. Stellvertretend für alle, die in dieser Stadt und in diesem Land Schutz suchten und Leid fanden, seien die zehn Namen der Mordopfer genannt:

Francoise Makodila

Christine Makodila

Miya Makodila

Christelle Makodila

Jean-Daniel Makodila

Legrand Makodila

Sylvio Amoussou

Rabia El Omari

Monica Maiamba Bungo

NSuzana Bungo.