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Elvis lebt!

 

Wie fast alles im Leben fing auch die Sache mit dem Tod ganz harmlos an. Ein Pop-Up-Fenster öffnete sich und darin stand: „Sehr geehrter User, jetzt online am Freitag den soundsovielten und so weiter. Sie wurden ausgewählt, eine Dubai-Reise zu gewinnen! Eine Woche Dubai im Burj al Arab Hotel, zwei Personen, inklusive Flüge, plus tausend Euro Taschengeld. Falls ausgewählt, hier klicken.“ Und ich schwöre: Zum allerersten Mal habe ich so was angeklickt! Plötzlich erscheint so ein Typ mit schwarzem Umhang und Sense auf meinem Monitor und hält mir eine abgelaufene Sanduhr unter die Nase. Ich sag noch: „Das ist doch jetzt nicht Dein Ernst“ und dass ich mir das eigentlich ganz anders vorgestellt hätte. Doch er nuschelt nur was von digitalem Zeitalter und er als Tod müsse auch sehen, wo er bliebe. Und – zack die Bohne – ende, aus, Entenhaus.

Doch auf einmal bin ich in einem Tunnel und an dessen Ende seh ich ein gleißendes Licht! Mir wird warm, alles ist schön und ich fühle mich sehr, sehr leicht. Ich komme an das Ende des Tunnels und stehe vor einem gewaltigen Tor. Mir ist sofort klar: Das könnte eventuell das Himmelstor sein. Ich klopfe an. Ein Sehschlitz wird aufgeschoben und eine Stimme erklingt: „Wer ist da?“

Ich frage: „Bist Du es, Petrus?“

Und die Stimme sagt: „Was glaubst Du, wer hier ist? Inge Meysel? Also – wie lautet die Parole?“

Davon hatte ich noch nie etwas gehört und ich stammele: „Parole? Welche Parole? Parole Emil?“

„Mach Dich nicht lächerlich! Also was jetzt?“

Ich bin ratlos, fange an zu stottern: „Äh, Se-se-se-sesam, öffne Di-di-dich..?“

„Falscher Kulturkreis. Du hast noch einen Versuch.“

‚Okay, das wird schwer’, denke ich. Doch dann habe ich eine Erleuchtung und setze alles auf eine Karte. Mit lauter Stimme rufe ich: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer verrät uns nie? Sankt Petri!“

Petrus scheint überrascht, sagt aber schließlich: „Na gut, ich glaube, das können wir gelten lassen.“

Das Tor geht auf. Ich habe es geschafft. Vor mir tut sich der Himmel auf. Staunend mache ich mich sofort daran, das Elysium zu erforschen. Es ist eine riesige Stadt, alles in weißem Marmor und afrikanischen Edelhölzern gehalten. Verrückt.

Und schon bin ich mitten drin im Getümmel der Heiligen und Erretteten. Mit solchen Menschenmassen hatte ich - ehrlich gesagt – im Paradies nicht gerechnet. Die Zugangskriterien scheinen doch lockerer zu sein, als diverse alte Männer uns immer weismachen wollen...

Ich komme an einem Straßencafe vorbei. An einem Tisch sitzen John Lennon, Che Guevara, Mahatma Gandhi und Gudrun Ensslin. Sie diskutieren darüber, ob der Himmel imperialistisch strukturiert sei und ob es notwendig sei, eine Paradies-Guerilla gegen die himmlischen Heerscharen zu installieren. Gandhi ist jedenfalls dagegen.

Ich gehe weiter und plötzlich stehe ich vor einem riesigen Fußballstadion. Das Spiel „Neuankömmlinge“ gegen „Alteingesessene“ hat soeben begonnen. Es entwickelt sich ein lauer Kick – die besten Fußballer kommen halt erst in den nächsten Jahren. Die Routiniers gehen bald mit 1:0 in Führung. Wolfgang Amadeus Mozart drückt den Ball mit seiner Zauberflöte ins Tor. Schmerzhaft aber effektiv. Unglaublich: Ausgerechnet ein Österreicher setzt die ersten fußballerischen Akzente! Mitte der zweiten Hälfte zirkelt Erich Honecker (ja, der gilt hier noch als Neuankömmling) einen Freistoß über die Mauer und Dodi Al-Fayed ist per fulminantem Kopfstoß zum Ausgleich erfolgreich. Das Niveau lässt mehr und mehr nach, doch kurz vor Ende der Partie ist es Martin Luther vorbehalten, den Spielstand im Sinne seiner Oldietruppe zu reformieren. Immerhin etwas.

Ich setze meine Erkundungstour fort und bemerke an einer Straßenecke einen großen Menschenauflauf – also quasi Totenauflauf. Eine Frau ist an eine Straßenlaterne gekettet. Passanten penetrieren sie durch Anheben der Arme mit ihrem Achselschweiß und pupsen ihr ins Gesicht. Um den Hals der Frau hängt ein Schild, darauf steht: „Diese Frau war Jurymitglied bei Poetry Slams und hat zu schlechte Wertungen abgegeben!“ Mein Gott, dass solche Menschen überhaupt in den Himmel kommen...

Einige Meter weiter sitzen drei alte Männer und haben Spaß. Sie schlagen sich auf die Schenkel und ihre Augen tränen vor Lachen. Es stellt sich heraus, es sind der gute alte Ludwig Van, Giuseppe Verdi und Modest Mussorgski. Sie hören sich gerade die neue Scheibe von Mehrzad Merashi an.

Überhaupt muss man sagen: Der Himmel hat musikalisch ein verflucht hohes Niveau. Am Rande der Chorprobe von Cherubim und Seraphim haben sich einige Promis eingefunden. Bob Marley, Johnny Cash, Kurt Cobain und Harald Juhnke sitzen in äußerst entspannter Runde zusammen und jammen vor sich hin.

Plötzlich geht ein Raunen durch die Menge. Der Chef höchstpersönlich kommt in einem Golfcart vorgefahren. Direkt vor mir hält er an, steigt aus und begrüßt mich. Ich bin äußerst irritiert, denn ich kann nicht zweifelsfrei erkennen, um wen es sich denn in Gottes Namen konkret handelt. Mit den handelsüblichen Jesusbildchen hat er nur wenig Ähnlichkeit. Und Allah beziehungsweise Mohammed habe ich noch nie gesehen – von einigen wenigen Karikaturen mal abgesehen. Er scheint mir allerdings auch nicht fernöstlichen Ursprungs zu sein. Also sage ich zu ihm: „Meister! Schön, Dich zu sehen. Aber ich weiß gar nicht, wie ich Dich ansprechen soll.“

Er entgegnet mir: „Mein Sohn. Ich habe viele Namen. Nenn mich, wie es Dich Deine Väter und Väterväter gelehrt haben.“

Das ist gut. Ich bin sehr erleichtert und lauthals rufe ich: „Jehova, Jehova!“

Das war falsch. Die Meute fängt an zu kreischen: „Er hat ‚Jehova’ gesagt!“ Und ein Steinregen prasselt auf mich hernieder.

Umgehend werde ich vor ein extrem junges Gericht gezerrt und mir wird der Prozess gemacht. Letztlich darf ich mir aussuchen, ob ich die Schmach der Slam-Jurorin teilen oder auf Bewährung noch mal in mein altes Leben zurückkehren will. Ganz ehrlich – eine sehr schwierige Entscheidung. Ich entscheide mich gegen den Achselschweiß und für Poetry Slams. Deswegen bin ich jetzt hier, erfreue mich an Eurer Gegenwart und kaltem Bier.

Ach ja, eins noch: Elvis habe ich da oben übrigens nicht gesehen.