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Ich bin dann mal gesprungen...

 

Jaa. Ich habe es getan! Vor dem Bruchteil einer Sekunde bin ich gesprungen. Jetzt bin ich frei. Jede weitere Überlegung ist sinnlos. Ich kann nichts mehr rückgängig machen. Die Schwerkraft hat das Kommando übernommen.

Gerade noch die Silhouette Hamburgs vor Augen. Den Hafen und mein Sankt Pauli im Abendlicht. Jetzt fliege ich auf meine geliebte Elbe zu.

Meine Gedanken rasen mit vielfacher Normalgeschwindigkeit. Bin ich überhaupt noch bei Besinnung? Müsste jetzt nicht der Film ablaufen, von dem immer alle erzählen? Meine Kindheit, meine wichtigsten Stationen?

Ich sehe keinen Film. Alles kreist um die Frage: Was mache ich hier eigentlich? Die Frage, ob es richtig ist, hat sich inzwischen erledigt. Die Schwerkraft sagt ja.

Was werden meine Freunde denken? Meine Eltern? Entsetzen wird sie packen. Trauer, Verzweiflung, Wut. Warum hat er das gemacht? Was haben wir getan? Was haben wir versäumt? Wo liegt unsere Schuld?

Vergesst es! Grämt Euch nicht! Es war meine Entscheidung, mein freier Wille.

Wenn Liebe Freiheit ist und Ihr mich liebt, dann gebt mich frei!

Ja, es war meine freie Entscheidung. Tausendmal durchgedacht. Tausendmal auch Eure Verzweiflung berechnet. Trotzdem.

Ich will nicht mehr und ich kann nicht mehr. Ich spiele nicht mehr mit. Will keine Hotels mehr bauen und keine Hypotheken mehr aufnehmen in Eurem Monopoly. Will nicht mehr fressen oder gefressen werden.

In einer Welt, die man für falsch hält, kann man nichts richtig machen. Es sei denn, es ist falsch. Für Euch oder für mich.

Ob ich ein guter Spieler bin oder ein schlechter, klärt sich an der Frage, ob ich die Badstraße oder die Schlossallee besitze. Der Geist ist in Tupperdosen verstaut. Was an Individualität noch zählt, ist der Fingerabdruck im Reisepass.

Für Euch springt hier kein Mensch, keine Kreatur, keine Seele. Für Euch springt hier ein Konsument, ein Mieter, ein Beitragszahler, eine Arbeitskraft. Humankapital.

Ihr werdet es zur Kenntnis nehmen. Und Ihr wisst, Euch zu schützen. Er war ein Mensch, der mit dem Leben nicht zurecht kam. Ein Einzelgänger. Krank. Depressiv. Ihr wisst aber auch: Nichts davon ist wahr! All diese Behauptungen – reinster Selbstschutz.

Wer nicht mehr mitspielen will, MUSS ja krank sein! Alles andere würde die in Frage stellen, die noch nicht gesprungen sind.

Ich rase weiter. Ich sehe Dich. du warst mein Asyl. Mein Trostpflaster. Mein Segelboot. Meine Nacken- und Seelenmassage. Meine Hoffnung.

Aber Du wolltest, Du konntest das nicht länger für mich sein. Und es ist okay. Dies ist kein Anschlag auf Dich, keine Racheaktion. Wie könnte ich Dir das antun? Dies ist eine Reaktion auf den Verlust der letzten Bastion.

Das Blatt ist ausgereizt, es ist jetzt Zeit zu gehen.

Noch liebe ich, noch fühle ich, noch denke ich. Allerhöchste Zeit, als Mensch zu gehen.

Danke für alles.

Nein, es gibt kein Happy-End. Kein Gummiseil an den Füßen. Kein Happy-End für Euch. Für mich schon. Es kann nur besser werden. Im Land der Freiheit irgendwo.