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Keinen Tag länger


 

Du sitzt im Auto. Keine Musik. Du bist vollgepumpt mit Adrenalin. Es ist so weit. Heute, jetzt gleich, wirst Du das tun, was Du tun musst. Du hast so lange darüber nachgedacht. Dich tausend schlaflose Stunden hin- und hergewälzt. Eigentlich weißt Du immer noch nicht, ob es wirklich richtig ist. Aber jetzt ist es zu spät. Falsch – es ist noch nicht zu spät, aber Du hast keine Lust mehr abzuwägen, nachzudenken, wach zu liegen. Jetzt wird es gleich passieren. Es muss sein.

Er ist ein Schwein. Über diesen Punkt bist Du Dir absolut im Klaren. Er ist ein Schwein. Er ist die personifizierte Kälte. Ein Apparatschik. Die zynische Fratze der Macht. Er hat die Macht, Leben zu vernichten, und er nutzt sie, wo immer er kann. Eine Macht, die ihm verliehen wurde. Ganz legitim. Ein von der Mehrheit gewählter Mensch. Und doch – ein Schwein. Er planiert den Rechtsstaat. Das ist seine Mission. Videoüberwachung. Abhöraktionen. Onlinespionage. Abschiebungen. Verdrängung. Kriminalisierung. Das System schützen. Bürgerrechte zerschreddern. Ein Lakai des Kapitals. Von Machtdenken zerfressen. Mitgefühls nicht fähig. Mit Menschlichkeit wäre er nicht, wo er ist. So sind die Spielregeln. Und das kotzt Dich an. Keinen Tag länger guckst Du tatenlos zu. Keinen Tag länger.

Alles ist geplant. Bis ins Detail. Das Auto ist sauber. Ein Ford, nicht zu groß und nicht zu klein. Du hast Deinen guten Anzug an, dunkelblau, ein gefälschter Presseausweis baumelt am Revers. Deine schwarzen Schuhe drücken etwas, aber Turnschuhe passen nicht in Deinen Plan. Und sie werden auch nicht gebraucht. Eine Flucht ist nicht vorgesehen. Hinter der Frontscheibe das Schild „Abendzeitung“. Schön konservativ. Absolut unverdächtig. Ein Notizblock, der vermeintliche Kugelschreiber in der Innentasche. Es wird funktionieren.

Du rollst auf den Museumsvorplatz, absichtlich zu spät. Die Eröffnung der Ausstellung hat längst begonnen. Gerade jetzt öffnet sich das Portal. Perfekt. Der Herr hat seinen Auftritt beendet. Zufrieden, offensichtlich. Man lockert die Krawatte, öffnet das Jackett. Drei Gorillas schützen das Zielobjekt. Es ist so weit. Du stoppst Deinen Wagen, öffnest die Tür und steigst aus. Ruhig bleiben! In der linken Hand den Notizblock. Der Kies knirscht unter Deinen Schuhen. Du rufst: „Herr Berger, bitte, drei Fragen von der Abendzeitung!“

Und Du siehst, wie die Gorillas auf Deinen Presseausweis sehen. Du bemerkst diese Entspannung in ihren Gesichtern, für eine Zehntelsekunde nur. Und Du weißt: Das reicht. Das war der Fehler, Freunde!

Euch trennen drei Meter. Berger guckt Dich an. Sagt noch: „Muss das jetzt…“ Du greifst unter Dein Jackett, doch statt des Kugelschreibers ziehst Du die Pistole. Er glotzt Dich an. Die Gorillas reagieren, aber es ist zu spät. Du ziehst durch. Bämm! Wie in Zeitlupe siehst Du, wie die Kugel einschlägt. In seinem rechten Auge. Sein Kopf fliegt irgendwie weg. Das ist das letzte, was Du siehst. Dann sind sie auch schon da. Massige Körper rammen Dich zu Boden, liegen auf Dir drauf. Dein Arm knackt. Ein Schlag ins Gesicht. Blut. Das war’s. Alles gut. Du lachst.