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Ich habe sie gesehen

 

Ich weiß nicht, ob Ihr sie schön finden würdet. Würde sie Euch überhaupt auffallen? Komisch. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass sie irgend jemandem nicht auffallen würde. Dass sie irgend jemandem nicht sofort gefallen würde.

Dabei ist sie andererseits auch wieder total unscheinbar. Sie ist kein Glamour-Girl. Kein Make-up, keine tollen Klamotten.

Sie hat ganz dünnes, blondes Haar. Haare, wie Frauen sie eigentlich nicht haben wollen, glaube ich. Ihre großen, blauen Augen fallen eigentlich noch am meisten auf. Ihr Gesicht ist irgendwie ganz anders als die anderen. Ist das ein Gesicht, das man schön finden muss? Ich weiß es nicht.

Am Hals hat sie zwei winzige Leberflecken. Wahrscheinlich würde sie niemand von Euch bemerken. Ich habe sie sofort gesehen. Sie sind meine absoluten Lieblingspunkte an ihr. Ich könnte stundenlang auf diese Punkte am Hals gucken.

Ihre Hände und Füße sind kleiner als man auf Anhieb vermuten würde. Aber voller Leben und Energie. Wenn sie redet, wedeln ihre Hände immer irgendwie herum. Dazu hat sie eine ungewöhnliche Stimme. Und wenn sie etwas besonders Schlaues sagen will, verändert sie ihre Aussprache. Es hört sich dann fast so an, als wäre ihre Zunge geschwollen. Komisch. Warum macht sie das?

Ihre Brüste, ihr Bauch, der Po – alles ganz normal. Und doch alles ganz speziell. Sie treibt Sport, aber eigentlich sieht man ihr das nicht unbedingt an. Das ist kein Apfel-Po oder Birnen-Po. Es ist halt ihr Po.

Ich will das ganze Äußere auch gar nicht überbewerten. Ich erzähle Euch nur davon, damit Ihr einen Eindruck von ihr bekommt.

Sie ist die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe.

Ich weiß nicht, ob sie irgendetwas besonders gut kann. Sie interessiert sich für alles und weiß von allem etwas. Ihr ist nichts zu blöd, immer findet sie irgend etwas spannend. Fotografieren, Angeln, Kochen, Fußball, Gitarre Spielen. Egal was.

Mich nervt, dass sie immer so hohe Ansprüche an sich stellt. Warum ist sie nicht großzügiger zu sich selbst?

Sie trägt Traurigkeit in sich und weint relativ oft. Aber wenn sie lacht, ist es so, als würde die Sonne nie wieder untergehen.

Manchmal ist sie schroff, teilweise unnahbar. Ein großes Geheimnis.

Warum ich das alles erzähle? Weil sie die beste Geschichte ist, die ich erzählen kann. Weil sie mir die Augen und den Himmel geöffnet hat. Weil ich jetzt weiß, dass sie Recht hatten, die Romantiker, die Schlageronkel und die Propheten. Liebe erträgt alles, Liebe hofft alles und Liebe hört niemals auf.

Ich hatte das große Glück, das zu erleben. Und das im Vergleich dazu kleine Unglück, zu sehen, dass es trotzdem nicht funktionieren muss. Schmerzhaft. Es hat mich zerrissen. Und trotzdem weiß ich seitdem, was ich will, wer ich bin und was ich kann.

Ich habe für diese Erkenntnis über dreißig Jahre gebraucht. Vielleicht zweifelst Du genau so, wie ich bis dahin auch gezweifelt habe. Ich sage Dir: Gib nicht auf, daran zu glauben. Es ist wahr: Es gibt sie, die Liebe. Ich bin Zeuge. Deshalb habe ich davon erzählt.